Thema Zukunft Europa

In dieser Staffel geht es um unsere Ernährung. Essen muss jeder von uns. Gesund bleiben will jeder: Beides hängt eng zusammen. In Episode eins sprechen wir mit der Ernährungsexpertin Angelika Kirchmair und den Europaabgeordneten Sarah Wiener und Alexander Bernhuber.

Show Notes

Was ist unsere Vision? Die Rettung des Planeten! So David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments.
In jeweils drei Episoden bündeln wir ein zentrales Thema des Green New Deal. Wir stellen Fragen: Wie ist es dazu gekommen, dass wir uns beeilen müssen, um nicht langsam von diesem Planeten geworfen zu werden? Wie ist der derzeitige Diskussionsstand in der EU? Und vor allem: Was soll nun passieren? Wir werfen einen Blick auf die Gegenwart, durchforsten Archive und sprechen mit österreichischen Europaabgeordneten.

In der vierten Staffel widmen wir uns dem Thema Ernährung. Essen muss jeder von uns. Gesund bleiben will jeder: Beides hängt eng zusammen. Wir sprechen mit der Ernährungsexpertin Angelika Kirchmair, Martin Wagner, Experte für Lebensmittelsicherheit und den Europaabgeordneten Sarah Wiener und Alexander Bernhuber.

Links:
Sarah Wiener
Alexander Bernhuber

Angelika Kirchmair
Martin Wagner

Willkommen zum Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.

Creators & Guests

Composer
Peter Kollreider
Producer
Peter Kollreider
head of hoerwinkel

What is Thema Zukunft Europa?

Der offizielle Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.

THEMA ZUKUNFT EUROPA
STAFFEL 04 Ernährung - EPISODE 01 Gegenwart

„Qual é la nostra visione? ...?

„Was ist unsere Vision?“ Das fragt David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments.

„Il arrivo un anno fa del Green Deal...“

„Die Ankunft des Green Deal klar gemacht, was unsere Vision ist: die Rettung des Planeten.“

Der Green Deal – angekündigt im Dezember 2019 – hat ein großes Ziel: Bis 2050 soll die Europäische Union klimaneutral werden. Klimaneutral bedeutet: Alle Emissionen von Treibhausgasen sollen ausgeglichen werden. Durch Maßnahmen, mit denen man Kohlenstoff bindet. Unterm Strich soll also die Netto-Verschmutzungs-Null stehen.

„We do not have all the answer yet. Today is the start of a journey. But this is Europe‘s man on the moon moment.“

...sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen damals. The start of the journey: Dieser Podcast soll Sie auf eine Reise mitnehmen. In jeweils drei Episoden bündeln wir ein Thema des Green New Deal. Wir stellen Fragen: Wie ist es dazu gekommen, dass wir uns beeilen müssen, um nicht langsam von diesem Planeten geworfen zu werden? Was wird in Brüssel und Straßburg diskutiert? Und vor allem: Was soll nun passieren? Wir werfen einen Blick auf die Gegenwart, durchforsten Archive und sprechen mit Europaabgeordneten aus Österreich. Sie kritisieren, analysieren und reden über Lösungen – aber auch verpasste Chancen. Es geht um die Zukunft. Die Zukunft der EU. Um unsere Zukunft. – Willkommen zum Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.

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In dieser Staffel geht es um unsere Ernährung. Essen muss jeder von uns. Gesund bleiben will jeder: Beides hängt eng zusammen: Was wir essen, entscheiden wir selbst. Doch die EU will uns vor allzu schädlichen Produkten schützen. Deshalb setzt Regeln: für die Landwirtschaft, die Tierhaltung, Regelungen für die Verarbeitung und den Verkauf von Lebensmitteln. Europäische Standards sind hoch. Das ist international bekannt, und viele beneiden uns dafür. Im Europäischen Parlament gibt es einen eigenen Ausschuss: Dort diskutieren die Europaabgeordneten die Themen Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

„Unser Essen, unsere Gesundheit, unser Planet, unsere Zukunft“ – so untertitelt die Europäische Kommission eine aktuelle Strategie. Sie trägt den Namen: „Vom Hof auf den Tisch“. Man sieht schon: Es geht dabei um ein ganzheitliches Denken, um die größeren Zusammenhänge. Um den Hof und Grund, wo Lebensmittel produziert werden, um den Weg, den diese Lebensmittel nehmen, über den Supermarkt bis hin zu unseren Kühlschränken. Und schlussendlich: unseren Tellern. Die EU will mit einer Gesamt-Strategie folgendes erreichen: Unser Essen soll gesund sein, es soll aber auch leistbar sein. Trotzdem sollen Landwirtinnen und Landwirte gut von ihrer Arbeit leben können. Und das alles soll nachhaltig passieren, im Einklang mit der Natur.

Ziemlich viele Ziele, kann man an dieser Stelle feststellen. Die EU hat sich also einiges im Bezug auf unsere Lebensmittelproduktion vorgenommen. Das ist aber auch notwendig, wenn wir das noch größere Ziel im Auge behalten wollten, den Green Deal. Es braucht Maßnahmen in allen Bereichen, damit wir spätestens 2050 sagen können: Wir leben klimaneutral. Aber was hat unsere Ernährung eigentlich damit zu tun? Nun, Einiges. Darüber sprechen wir in dieser Staffel. Lebensmittel- und Landwirtschaftssysteme tragen bis zu 30 Prozent zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Besonders negative Auswirkungen haben zum Beispiel die industrielle Viehzucht oder chemieintensive Monokulturen. So steht es im Bericht des Parlaments zur Strategie „Vom Hof auf den Tisch“.

Auf Englisch liest sich das etwas knackiger: "Farm to Fork". In der Strategie geht es vor allem um ein Weniger: weniger chemische Pestizide, weniger Dünger, weniger Verschmutzung und dadurch weniger Nährstoffverluste in den Lebensmitteln. Nicht zuletzt: weniger Lebensmittelverschwendung. Ein Mehr soll es aber auch geben: und zwar in der Bio- Landwirtschaft. 25 Prozent Biolandwirtschaft in der EU bis zum Jahr 2030. Das ist das Ziel. Österreich ist das einzige Land, das dieses Ziel schon erreicht hat. Hierzulande wird bereits jeder vierte Quadratmeter biologisch bewirtschaftet.

Zurück zum Thema Ernährung: Was bedeutet es heute sich gesund zu ernähren? Was sollen wir am besten essen? Und wie geht das mit unserem Alltag zusammen? Wir fragen Angelika Kirchmair, wie sich ihre Familie ernährt. Kirchmair ist Ernährungsexpertin und lebt und arbeitet in Kufstein in Tirol.

ANGELIKA KIRCHMAIR
Wir essen schon eine bunte Palette. Aber wir versuchen halt einfach alles, was irgendwie regional produziert wird, zu bevorzugen. Und natürlich gibt es dann auch paar Lebensmittel, zum Beispiel unsere Kinder essen auch gerne mal eine Ananas oder eine Mango. Die gibt es natürlich auch. Aber auch da haben wir einen Weg gefunden, eben über dieses Crowdfunding, das man direkt beim Bauern bestellen kann. Und da kommt dann einmal im Monat so eine Kiste mit Obst drinnen, je nach Saison. Also zum Beispiel vor ein paar Tagen haben wir eine Kiste voller Bio-Orangen bekommen von einem super Produzenten. Und das, ja, das wird dann bevorzugt. Und natürlich, ein paar Sünden gibt’s auch.

Angelika Kirchmair ernährt sich sehr bewusst – klar, es ist ihr Job. Die Tirolerin hat unter anderem Gesundheitswissenschaften und Klinische Ernährungsmedizin studiert. Sie hält Vorträge rund ums Thema Ernährung und schreibt Bücher. Und sie weiß: Es gibt sehr ungesunde Lebensmittel. Das hängt zum Teil damit zusammen, wie wir heute Lebensmittel produzieren. Und die Art und Weise der Produktion hat noch eine fatale Folge: Es ist der Hauptgrund dafür, dass die biologische Vielfalt verloren geht. Eine Million Arten sind heute vom Aussterben bedroht. Das kann das natürliche Gleichgewicht kräftig durcheinander bringen - und uns in Gefahr. Das ist dem Europäischen Parlament sehr bewusst. Im Juni verabschiedeten die Europaabgeordneten eine Entschließung zur “EU-Biodiversitätsstrategie für 2030”.

ANGELIKA KIRCHMAIR
Die Biodiversität wäre sehr, sehr wichtig, gerade wenn man sich den Bereich Insekten und so anschaut. Da wäre es wichtig, dass wir viele, viele verschiedene Pflanzen haben und nicht nur eine Handvoll Pflanzen. Und auch bei den Tieren ist es so: Wir haben nur ganz, ganz wenige Tiere, die wir als Nutztiere quasi züchten und alles andere hat keine Berechtigung mehr.

...sagt die Ernährungsexpertin Angelika Kirchmair.

ANGELIKA KIRCHMAIR
Was mir auffällt in der Praxis ist aber, dass die Leute oft mal diesen Geschmack nicht mehr kennen. Es gibt ja viele Pflanzen, die dann zum Beispiel einen bissl bitteren Geschmack haben. Ältere Menschen tolerieren das oft noch sehr gut, weil die kennen das aus der Kindheit. Das manches etwas bitter schmeckt. Bei jüngeren Menschen merke ich oft, dass sie dann sagen: Hm, das schmeckt mir nicht. Ich mag lieber, dass das nicht so bitter schmeckt. Also wir haben offensichtlich, in Bezug auf unsere Geschmacksrezeptoren, haben wir uns offensichtlich nicht weiterentwickelt, sondern zurückentwickelt.

Farm-to-Fork und Biodiversität also: Die EU hat sich strategische Ziele gesetzt. Nun geht es darum, sie in effektive Gesetze zu übersetzen, denen das Europäische Parlament zustimmt. Wer entscheidet darüber mit? Sarah Wiener etwa. Sie ist Europaabgeordnete der Grünen, heute lebt sie auf einem Bauernhof in der Uckermark in Norddeutschland. Ernährung, das ist ihr Thema. Als Köchin wurde sie bekannt, seit 2019 arbeitet Sarah Wiener im Europäischen Parlament – und zwar im Ausschuss Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Sie ist auch im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

SARAH WIENER
Der ausschlaggebende Punkt war, dass ich schon entsetzt war, wie sich unser Lebensmittelsystem geändert hat und was uns alles auf den Tellern vorgesetzt wird. Dass wir zum Beispiel nicht mehr wissen können, was wir essen und deswegen auch keine Entscheidungen treffen können. Zum einen. Und zum anderen, dass die Kochkunst die älteste Kulturleistung der Menschheit, die auch identitätsstiftend ist, langsam verschwindet, erodiert und mit der sogenannten industriellen Ernährungsdiät chronisch entzündliche Krankheiten und so weiter immer mehr zulegen. Gleichzeitig werden aber Tiere schlechter behandelt, der Boden geht kaputt und und und. Und das hat mich in die Politik getrieben am Ende.

Die Europaabgeordnete Sarah Wiener war Schattenberichterstatterin für den Bericht zur Farm-to- Fork-Strategie. Ein wichtiger Schritt, findet sie. Denn “Farm to Fork” benennt eine Lebensmittelpolitik, die auf biologische Vielfalt und Gesundheit setzt – Aspekte, die wichtiger sein sollen als die Profite der Industrie. Davon sind manche Befürworter der Strategie überzeugt.

SARAH WIENER
Wir müssen uns einfach überlegen, wer wir sein möchten und wer wir sind. Und vielleicht bin ich ja so ein letzter Dinosaurier. Ich möchte nicht Nährstoff-Flüssigkeiten in irgendeiner Form essen müssen sollen, die normiert sind. Ich möchte auch keine normierten Gedanken haben, keine normierte Kleidung und ich möchte auch kein normiertes Essen. Und das ist etwas, was ich auf uns zukommen sehe. Und sensible, aufmerksame Menschen werden das spüren. Und ich finde, wir sollten dann noch einmal aufstehen und sagen: So nicht! ... Farm-to-Fork ist auf jeden Fall ein guter Schritt in die richtige Richtung. Jetzt muss man sehen, was für Gesetze daraus kommen. Und natürlich auch die Mitgliedstaaten müssen sagen, es geht nicht um Ego. Es geht nicht darum, für mich jeden Vorteil für die anderen nix, sondern es geht darum, solidarisch mit unserer Spezies zu sein, mit Europa, mit der Welt.

Das Europäische Parlament stellt sich hinter die Farm-to-Fork-Strategie. Im Oktober nahm es eine Entschließung mit 452 zu 170 Stimmen an, 76 Enthaltungen gab’s auch. Eine der Gegenstimmen kam vom ÖVP-Europaabgeordneten Alexander Bernhuber aus Niederösterreich, selbst Landwirt im Mostviertel.

ALEXANDER BERNHUBER
Die Agrarpolitik hat mich schon immer fasziniert, aber auch die Regionalpolitik. Bin seit mittlerweile sechs Jahren Gemeinderat in meiner Heimatgemeinde Kilb und ja, dann durch mein Engagement, Engagement bei der Landjugend und durch mein politisches Interesse hat sich die Möglichkeit für mich ergeben, dass ich bei der Europawahl kandidieren darf und dann noch den Einzug ins Europaparlament geschafft habe. Warum hat er im Oktober gegen den Farm-to-Fork-Bericht im Europäischen Parlament gestimmt?

ALEXANDER BERNHUBER
Na ja, mit der Strategie bin ich davon ausgegangen, dass wir hier einen Bericht haben, der alle Seiten der Produktion und bis hin zum wirklich vom Bauernhof bis hin zum Konsumenten beleuchtet. Aber was wir hier am Schluss gehabt haben, war für mich und meine Kollegen ein Bauern-Bashing auf einfachste Art und Weise. Hier wurde teilweise sehr, sehr einseitig auf Bauern losgegangen, welche Ziele die Landwirtschaft erreichen muss, welche Reduktionsziele die Landwirtschaft hat, ohne darauf zu achten. Was kann die Industrie beitragen und wo liegt die Verantwortung bei den Konsumenten? Und da ist es eben in Summe so weit gegangen, dass hier nicht einmal klar dargestellt wurde -- sollte es zur Reduktion in der Produktion kommen, also erschwerte Bedingungen für die Landwirte -- wie werden die höheren Produktionskosten abgegolten? So etwas ist nicht vorgekommen im Text und dann konnten wir hier einfach mit gutem Gewissen nicht zustimmen, weil das war kein Bericht, der vom Bauernhof bis zum Teller alles beleuchtet ist, sondern das war 90 Prozent alles, was die Landwirtschaft falsch macht und ändern muss und nur 10 Prozent, wo es darum geht: Was kann die Lebensmittelindustrie und was kann der einzelne Konsument beitragen?

Wo sollen sie also liegen, die Verantwortlichkeiten? Und welche Themen und Regeln sind wichtig? Bevor wir uns diesen Fragen in Folge Drei widmen – und zwar mit beiden Europaabgeordneten –, lassen Sie uns in der nächsten Episode wie bisher einen Blick zurück machen: in diesem Fall, rund 20 Jahre. Damals präsentierte die EU die erste Farm-to-Fork-Strategie. Warum genau damals, und was sie beinhaltete, dem widmen wir uns in Episode Zwei. Wir sprechen dazu mit Martin Wagner, dem Leiter des Instituts für Lebensmittelsicherheit an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Hören Sie wieder zu, wir freuen uns auf Sie!

Dieser Podcast wird im Auftrag des Europäischen Parlaments produziert und kommt aus dem hoerwinkel. Mein Name ist Benjamin Breitegger.

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