Wir fragen Vizepräsidentin Evelyn Regner (SPÖ) zu den Bemühungen der EU Steuerschlupflöcher zu schließen. Zu Beginn machen wir eine kurze-Frage/kurze Antwort Runde.
Der offizielle Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.
TZE 22 - 01 - Evelyn Regner
Evelyn Regner (SPÖ) über Steuergerechtigkeit
Willkommen liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zu unserm Podcast Thema Zukunft Europa. Sie haben vielleicht schon gemerkt: diesmal ist etwas anders. Wir haben im letzten Jahr vier kurze Staffeln zum Green Deal produziert, die nach wie vor aktuell sind und angehört werden können. Dieses Jahr möchten wir näher an die österreichischen Abgeordneten heran. Wir widmen deshalb jede Folge einer Person und stellen Fragen zu Themen, die für die Zukunft Europas relevant sind.
Unser erster Gast ist Evelyn Regner. Sie ist seit Mitte Jänner 2022 eine von insgesamt 14 Vize- präsidentinnen und Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments. Die SPÖ-Europaabgeordnete aus Wien ist Vorsitzende des Parlamentsausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. Außerdem beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Steuergerechtigkeit. Und darüber wollen wir heute mit ihr sprechen.
Davor aber wollen wir sie kennenlernen – eine Kurze-Frage-Kurze-Antwort-Runde:
F: Frau Regner, warum sind Sie Politikerin geworden?
A: Ich war bei Amnesty International. Flüchtlingsreferentin. Ich war bei den Gewerkschaften und habe mich für Soziales eingesetzt. Und: Wenn du etwas ändern willst, und nicht nur kritisieren, dann musst du gestalten. Und das habe ich gemacht.
F: Und warum wollten Sie in die Europapolitik?
A: Wenn du wirklich etwas ändern willst, dann gehst du in die Europapolitik, denn die Dinge, die das Leben der Menschen dann tatsächlich verbessern, die passieren auf europäischer Ebene, wenn du Österreicherin bist.
F: Sie sind seit 2009 im Europäischen Parlament. Was hat sie am meisten überrascht, als Sie nach Brüssel gekommen sind?
A: Ich habe schon gewusst, dass es sehr international hier zugeht. Aber wenn ich in den Lift eingestiegen bin, gerade am Anfang, und immer rate, wird hier jetzt Slowakisch gesprochen oder ist das vielleicht, später dann Estnisch? Oder, was für eine Sprache ist denn das? Dann ist das schon unglaublich aufregend, also wirklich ... dass es noch viel bunter ist, als ich eigentlich angenommen hatte.
F: Was würden Sie als ihren bisher größten Erfolg in Brüssel bezeichnen?
A: Große Unternehmen: Die müssen ihre Steuern jetzt dort zahlen, wo sie sie wirklich erwirtschaften. Also echt Milliarden für die Allgemeinheit, für die Menschen letztlich bringen. Public Country by Country Reporting. Dieser Bericht, das ist wirklich ein ganz großer Erfolg. Also diese öffentliche Konzern-Steuererklärung ist ein wichtiger Schritt bei der Transparenz (...) Transparenz ist essenziell.
Streichmöglichkeit: Es muss jetzt umgesetzt werden, denn wir haben erst am 24. November, also erst vor kurzem, ganz offiziell unterschrieben, dass Rat und Europäisches Parlament dies beschlossen hatten und es jetzt umzusetzen ist. Das muss in den nächsten drei Jahren passieren. Das ist wirklich europäisch und global ein gewaltiger Erfolg.
F: Ein Blick in die Zukunft: Wie stellen Sie sich die EU in 20 Jahren vor?
A: Weiblicher. Überhaupt diverser, transparenter, nachhaltiger und geeinter, also schlicht: besser.
S OU N D
Nun zum Thema. Seit 13 Jahren arbeitet Evelyn Regner im Europäischen Parlament. Mit ihr wollen wir heute über Steuergerechtigkeit sprechen. Ein Schwerpunkt von ihr. Die SPÖ-Politikerin hat an einem Bericht mitgearbeitet, in dem die Europaabgeordneten untersuchen, wie gut der Austausch von Steuerinformationen in der EU funktioniert. Denn vor gut zehn Jahren haben sich die Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, enger zusammenarbeiten: Informationen zu den verschiedenen Einkunftsarten wie Lohn, Pension oder etwa Immobilien sollten ausgetauscht werden. Das Ziel war den Steuerbetrug in der EU damit zu verhindern. Über die letzten Jahre sind die Vorschriften immer wieder angepasst und erweitert worden. Und trotzdem entgehen den Mitgliedsstaaten aufgrund von Steuerhinterziehung und Gewinnverlagerung von multinationalen Unternehmen jährlich bis zu 190 Milliarden Euro. Das hat das Europäische Parlament festgestellt.
Was braucht es also in Zukunft, um den Austausch von Steuerinformationen besser zu gestalten? Was funktioniert - und was nicht?
F: Frau Regner, das Europäische Parlament stellt in seinem Bericht gleich zu Beginn folgendes fest: Die Untersuchung, wie gut der Austausch von Steuerinformationen funktioniert, konnte nur mit Einschränkungen durchgeführt werden. Warum ist das so?
A: Na ja, das hat zwei Gründe. Wir waren wirklich schon sehr verärgert bei der Arbeit als europäische Abgeordnete, das möchte ich Ihnen schon sagen, nämlich weil bis auf wenige Ausnahmen haben die Mitgliedstaaten den Zugang zu den Dokumenten verweigert. Das heißt, wie willst du überprüfen, wie das funktioniert, wenn man nicht einmal die Informationen, die Basis, die Daten bekommt? Und andererseits hat die Kommission selbst das europäische Recht eigentlich verdammt eng ausgelegt und hat uns dadurch ebenfalls den Zugang zu Dokumenten verweigert. Das heißt, in einem sehr engen Rahmen haben wir die erforderlichen Informationen nur bekommen. Und nach der geltenden Rahmenvereinbarung müssen die Mitgliedstaaten der Aushändigung der Dokumente durch die Kommission zustimmen. Also das heißt, wir haben gearbeitet, wir als Parlament, die schauen, wie das, was wir beschlossen, umgesetzt wird, haben nur eingeschränkten Zugang gehabt. Und das ist schon sehr, sehr ärgerlich und hinderlich letztlich.
F: Und mit welchen Daten haben Sie als Europaabgeordnete dann gearbeitet?
A: Wir haben einerseits durch Studien Informationen bekommen. Es ist schon möglich gewesen, dann noch quasi Daten zu bekommen. Und über den Europäischen Rechnungshof. Und das ist zwar sehr schön und gut, aber nicht ausreichend. Wir haben einen ganzen Haufen an Richtlinien mit dem Zusammenhang beschlossen und wir haben den quasi den Zeitraum, seitdem wir diesen automatischen Informationsaustausch haben, uns angeschaut und haben gefragt: Was gibt es alles an Daten bisher, seitdem das ganze passiert?
F: Die Richtlinie über die Zusammenarbeit im Bereich der Besteuerung stammt aus dem Jahr 2011. Was ist denn seitdem passiert, wo sehen Sie die Fortschritte?
A: Wir als Europäisches Parlament haben unsere Aufgaben gemacht, wir haben die Regeln schon sechs Mal überarbeitet. Also wir sehen immer wieder: Hey, da gibt es ja immer wieder neue Schlupflöcher und da ist die Kreativität bei den Unternehmen zu groß. Also wir passen uns eh immer regelmäßig in unseren Regeln an. Und das, was auch tatsächlich gemacht werden soll. In jeder Phase der Überarbeitung haben wir daher neue Stufen des Austauschs vereinbart. In der dritten Phase waren es zum Beispiel die Steuer-Vorbescheide und in der vierten Phase - also das ist so quasi mein Lieblingsthema - die länderspezifische Berichterstattung von Konzernen. Aber die strengsten EU-Vorschriften bringen nix, so wie ich es gesagt habe, wenn die Mitgliedstaaten nur unzureichend umsetzen. Und daher müssen wir den politischen Druck natürlich beibehalten und erhöhen.
F: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, um Betrug und Steuervermeidung in Zukunft besser zu verhindern?
A: Die Mängel liegen auf der Hand, weil die Richtlinie ist ja ein Puzzle, besteht aus mehreren Teilen, aber die wichtigsten Teile fehlen: die Daten. Und deshalb muss die Kommission natürlich auch sicherstellen, dass die Daten, dass wir die überhaupt haben, dass die Qualität der Daten entsprechend passt. Und das ginge grundsätzlich ja relativ einfach, weil wir im Europäischen Parlament festgestellt haben, dass die Mängel auf veraltete Technologien zurückzuführen sind. Also Staaten muss man sich da so vorstellen, dass die wirklich veraltet schlichtweg arbeiten und die alte Geschichte: viel zu wenig Personal für genau dort, wo man, wo man eigentlich das Personal einsetzen sollte, weil das rentiert sich ja, wenn ich mehr Personal habe, kann (...) ich dann auch schauen, was für Daten eben wirklich brauchbar sind und man kommt dann tatsächlich auch natürlich zu dem Geld, das wir brauchen. Wir haben festgestellt, dass (...) in 18 Mitgliedstaaten die Informationen mangelhaft umgesetzt wurden. Das heißt, dass in einem ganz überwiegenden, also quasi in der Mehrheit der Mitgliedstaaten ist es schlecht umgesetzt.
F: Die Vorschriften werden nun erneut angepasst. Was soll das in Zukunft bringen?
A: Einerseits, wir haben weitere Einkommens-Kategorien, die von der Richtlinie erfasst werden sollen. Und, was auch vorangetragen getrieben werden muss, das ist die Kohärenz der Sanktionen, weil das eine Angelegenheit der einzelnen Mitgliedstaaten ist. Wenn die Sanktionen nicht abschreckend sind und nicht dazu beitragen, dass die Regeln auch eingehalten werden, dann nützen sie nix. Und wenn die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung schleißig sind, viel zu wenig kontrollieren, nur stichprobenartig, dann nützt das auch nichts. Gerade bei der Umsetzung müssen wir natürlich nachschärfen. Und was ebenfalls diskutiert werden soll, das sind zusätzliche Meldepflichten für Finanzinstitute. Das ist wichtig und von dem erhoffe ich mir schon einiges.
F: Abschließend noch eine Frage zum schwierigen Thema Kryptowährungen: Sind sie Teil der Diskussion? Also wird auch diskutiert wie mit Gewinnen von beispielsweise Bitcoins umzugehen ist?
A: Wir werden im Rahmen der Überarbeitung mit der Meldung und den Austausch dieser Vermögenswerte uns befassen müssen. Das ist klar. Schwierig ist es, da gebe ich Ihnen recht. Krypto- Währungen, das ist jetzt das ganz neue Feld. Noch viel zu wenig reguliert, viel zu wenig kontrolliert.
Frau Regner, danke für Ihre Zeit.
Danke!
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Dieser Podcast wird im Auftrag des Europäischen Parlaments produziert und kommt aus dem Podcast- Studio hoerwinkel in Wien.