Thema Zukunft Europa

Bettina Vollath beantwortet uns Fragen zum Schutz der EU-Außengrenzen und die dafür zuständige EU-Agentur Frontex. Zuvor eine kurze Kennenlern-Runde.

Show Notes

Bettina Vollath ist Europaabgeordnete der SPÖ und sitzt in mehreren Ausschüssen: Im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, im Rechtsausschuss und im Unterausschuss Menschenrechte. Wir sprechen mit ihr über den Schutz der EU-Außengrenzen und die dafür zuständige EU-Agentur Frontex. Gleich nach einer kurzen Kennenlern-Runde.

Creators & Guests

Composer
Peter Kollreider
Producer
Peter Kollreider
head of hoerwinkel

What is Thema Zukunft Europa?

Der offizielle Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.

TZE 22 - 05 - Bettina Vollath
Bettina Vollath (SPÖ) über die EU-Grenzschutzagentur Frontex

Willkommen liebe Zuhörerinnen und Zuhörer zu unserm Podcast Thema Zukunft Europa. Wir widmen uns in jeder Folge einer oder einem österreichischem Abgeordneten und stellen Fragen zu Themen, die für die Zukunft Europas relevant sind.
Heute zu Gast ist Bettina Vollath. Sie ist Europaabgeordnete der SPÖ und sitzt in mehreren Ausschüssen: Im Ausschuß für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, im Rechtsausschuss und im Unterausschuss Menschenrechte. Wir sprechen mit ihr über den Schutz der EU-Außengrenzen und die dafür zuständige EU-Agentur Frontex. Gleich nach einer kurzen Kennenlern-Runde.

F: Frau Vollath, gab es einen Schlüsselmoment, der Sie in die Politik gebracht hat?
A: Mich haben eigentlich Ungerechtigkeiten, ganz egal ob ich selbst welche erlebt oder beobachtet habe, von Kindheit an wahnsinnig gestört und ich mich auch immer dagegen aufgelehnt. Und ich bin ja in die Politik als sogenannte Quereinsteigerin erst mit 42 Jahren gekommen und ich kann mich noch genau an mein erstes Bauchgefühl erinnern, als mir diese Möglichkeit angeboten wurde. Dieses Wow, das ist eine Riesenchance. Vielleicht kannst du ja wirklich etwas verändern, wenn du die Chance bekommst, politisch zu arbeiten.

F: Was würden Sie als Ihre politischen Erfolge bisher bezeichnen, als Europaabgeordnete?
A: Als EU-Abgeordnete, die ich jetzt seit gut zwei Jahren bin, verfügt man ja nicht wie ein Regierungsmitglied über operative Gestaltungsmöglichkeiten. Aber: Man kann Themen setzen. Und damit auf den öffentlichen Diskurs Einfluss nehmen und Druck aufbauen. Das jetzt also zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und auch Pushbacks in den letzten zwei Jahren immer wieder auf der medialen Tagesordnung, aber auch auf der Tagesordnung im Europaparlament waren – das sehe ich als unseren Erfolg im Europäischen Parlament.

F: Und wie soll die EU in zwanzig Jahren aussehen, wenn es nach Ihnen geht?
A: In 20 Jahren wünsche ich mir für die EU und damit für uns alle, dass tatsächlich alle europäischen Staaten Mitglied der EU sind, dass auch Großbritannien wieder mit dabei ist und wir alle durch stabile Demokratien, Rechtsstaatlichkeit, gelebte Grundrechte und gemeinsame Zielsetzungen miteinander verbunden sind und dadurch geeint nach außen auftreten können, um unseren Platz in der Welt zu behaupten.

ÜBERLEITUNG
Nun zum Thema: Die europäische Agentur Frontex mit Sitz in Warschau hat die Aufgabe in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten die EU-Außengrenzen zu kontrollieren. Dafür sind ihr im Jahr 2021 543 Millionen Euro zur Verfügung gestanden, rund viereinhalb Mal so viel wie noch vor zehn Jahren. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, so der vollständige Name, kann heute selbst Personal einstellen und Ausrüstung erwerben.
Frontex steht seit längerem in der Kritik, denn der Grenzschutzagentur wurde nachgewiesen, selbst illegal gehandelt zu haben. Sobald Migranten und Migratinnen die EU erreichen, haben sie das Recht, um Asyl anzusuchen. Sie dürfen nicht abgeschoben werden. Werden sie dennoch abgeschoben nennt man das Pushbacks und diese sind illegal.
Recherchen mehrere Medien haben gezeigt: Frontex hat Pushbacks geduldet und war sogar aktiv an Pushbacks beteiligt – und hat so Menschenleben gefährdet.
Anfang 2021 hat das Europäische Parlament eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Arbeitsweise von Frontex zu untersuchen. Ihr gehören 14 Europaabgeordnete an, zwei aus jeder Fraktion. Für die Sozialdemokraten beteiligt ist Bettina Vollath, mit der wir jetzt sprechen.

F: Frau Vollath, die Arbeitsgruppe des Europäischen Parlaments gab im Juli 2021 einen ersten Bericht heraus, darin stellen sie fest, Frontex habe schwere Menschenrechtsverletzungen gebilligt. Wie hat das passieren können?
A: Es scheint, als ob insbesondere in den Chefetagen der Agentur das Bewusstsein über die grundlegende Bedeutung von Grundrechten nicht wirklich ausgeprägt ist. Und das ausgerechnet in so einem grundrechtsensiblen Bereich wie beim Einsatz an unseren Außengrenzen. Um die Einhaltung der Grundrechte zu gewährleisten, sollten ja zum Beispiel seit Jänner 2021 40 Grundrechtsbeobachterinnen bei Frontex tätig sein. Es sind bis heute erst 20. Also diese fehlende Sensibilität scheint systematisch zu sein, weil sie sich wie ein Muster durch die Arbeit der Agentur zieht. Aber die rechtlichen Vorgaben in der aktuellen EU-Verordnung für Frontex und auch einschlägige internationale und völkerrechtliche Vereinbarungen, da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Pushbacks und insbesondere kollektive Pushbacks sind unter allen Umständen verboten und sind illegal.

F: Was hat sich seit dem Bericht verändert?
A: Ja, in diesem Bericht haben wir an die 20 Forderungen formuliert. Einige davon wurden mittlerweile umgesetzt. Zum Beispiel kann jetzt ein Vertreter, Vertreterin des Europäischen Parlaments an den Verwaltungsrat-Sitzungen teilnehmen. Aber ich persönlich habe den Eindruck gewonnen, dass durch das aktive Hinschauen des Parlaments ein bisschen mehr Vorsicht im Handeln von Frontex eingekehrt ist. Aber das reicht natürlich nicht. Denn es geht um eine notwendige systematische Veränderung der Arbeit in der Agentur. Und ich habe nicht den Eindruck, dass bisher echte Konsequenzen gezogen worden sind. Das heißt, um den Druck zu verstärken, ist es mir sehr wichtig, dass wir nun auch in einer Parlaments-Resolution die Forderungen an Frontex nach einer echten Grundrechtsüberwachung zusammenfassen und so im Europäischen Parlament zu einer gemeinsamen Beschlusslage kommen. Nur so können wir den Druck verstärken.

F: Was wären denn notwendige, systematische Veränderungen? Können Sie uns ein Beispiel geben?
A: Ein Beispiel ist, dass Frontex eigentlich in einem klaren Berichtsystem über Beobachter der Grundrechtsverletzungen durch Frontex-Beamte innerhalb der Agentur tätig werden müsste, also Berichte, sogenannte „Serious Incident Reports“ bringen. Und da soll es quasi die Weisung an Frontex-Beamte gegeben hat, tunlichst solche Berichte nicht zu verfassen, weil sie zu viele Fragen aufwerfen. Also, ein Beispiel in dieser ganzen Systematik wäre, und das war auch in unseren Forderungen drinnen, dass dieses Berichtsystem überarbeitet wird und auch angewendet wird.

F: Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, kurz OLAF, hat schon Ende 2020 eine Razzia im Büro des nunmehr ehemaligen Frontex-Exekutivdirektors Fabrice Leggeri durchgeführt. Fabrice Leggeri ist ja im April zurückgetreten. Davor hat er auch vor dem Europäischen Parlament gesprochen, Sie sagen, er habe Falschaussagen getätigt. Welche waren das?
A: Leggeri war viele Stunden im Europäischen Parlament und sollte uns dort Rede und Antwort stehen. Aber, um es so auszudrücken: Er hat jedes Mal sehr viel geredet. Er ist unseren konkreten Fragen aber konsequent ausgewichen. Und er hat bei diesen Befragungen zum Beispiel nie eingestanden, dass Frontex tatsächlich vom Pushbacks Bescheid wusste. Aber die Belege sind so erdrückend, dass es mittlerweile klar ist, dass er damals nicht wahrheitsgemäß geantwortet hat.

F: Der Abschlussbericht von OLAF, dem Amt für Betrugsbekämpfung, ist geheim, selbst Sie als Europaabgeordneten bekamen nur eine mündliche Zusammenfassung. – Warum?
A: Es ist klar, dass es sich um sehr sensible Vorwürfe handelt, womöglich auch mit einer strafrechtlichen Relevanz. Und der Olaf-Bericht ist auch sehr umfangreich. Und es wäre für mich nachvollziehbar, wenn nur Teile, die Personen oder Aussagen von Zeuginnen schützen, der Öffent- lichkeit zugänglich gemacht werden. Aber dass uns als Europäisches Parlament, als Kontrollinstanz, dass wir dermaßen außen vor gelassen werden, ist für mich selber völlig unverständlich und kontra- produktiv. Und da haben wir uns auch entsprechend beschwert und ich hoffe, dass sich das ändert.

F: Das Europäische Parlament hat im Oktober 2021 gefordert, 90 Millionen Euro Budget für Frontex zurückzuhalten.
A: Ja, wir als S&D-Fraktion fordern, dass solange die Grundrechtsverletzungen nicht restlos aufgeklärt sind und vor allem auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden können, dass zumindest ein Teil der Gelder für Frontex zurückgehalten wird. Was mir wichtig ist, dass ich nicht missverstanden werde: Frontex ist eine Gründungsidee nach eine sehr bedeutende europäische Agentur. Weil sie soll ja die EU-Mitgliedstaaten bei einer grundrechtskonformen Grenzüberwachung unterstützen. Das ist ja die Gründungsidee und hinter der stehe ich auch. Das heißt, einfach Gelder zu kürzen wird das Problem alleine nicht lösen. Aber Geld ist immer ein wichtiger Hebel. Und wir als EU-Parlament müssen die Möglichkeiten nutzen, die wir haben. Und das ist der Grund, warum wir zurzeit die Entlastung der Haushalte von Frontex seit 2020 blockieren.

F: Das Frontex-Budget wird immer größer. Vor zehn Jahren, 2011, standen 118 Millionen Euro zur Verfügung. Im Jahr 2019 waren es 333 Millionen Euro, und 2021 dann schon 543 Millionen Euro. Wie kommt das?
A: Im Rat der Mitgliedstaaten ist darauf gepocht worden, die Agentur auszubauen. Frontex war ja lange Zeit das Lieblings-Vorzeigeprojekt von vielen Innen-MinisterInnen. Was mich persönlich dabei sehr stört, ist: Alles, was mit Ressourcenausbau und Vergrößerung von Frontex zu tun hat, ist in den letzten Jahren unglaublich schnell gegangen. Und alles, was mit Grundrechten zu tun hat, geht unglaublich langsam. Und es ist klar, das hat mit politischer Schwerpunktsetzung zu tun. Und das wiederum ist eine Frage der politischen Mehrheiten. Aber Tatsache ist, und genau darum werden wir weiterkämpfen: Unsere Grenzen dürfen nicht zu einem rechtsfreien Raum verkommen. Auch an ihnen gibt es Menschenrechte und die haben zu gelten. Und nicht nur dort, wo es uns leicht fällt. Macht hat immer unmittelbar mit Verantwortung zu tun. Und das muss auch für Frontex gelten.

F: Was ist bisher geheim, muss aber transparent werden?
A: Zusammengefasst, um es auf den Punkt zu bringen: Veröffentlicht werden müsste eigentlich alles, was mit Geldern und mit Grundrechten zu tun hat und wo somit ein öffentliches Interesse am Handeln der Agentur Frontex besteht.

F: Was wären wichtige Schritte, die Frontex jetzt setzen müsste?
A: Frontex muss sich endlich bewusst werden, dass das Repräsentieren der Europäischen Union an unseren Außengrenzen immer damit verbunden sein muss, dass auch unsere Werte repräsentiert werden, nämlich Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Ein wichtiger nächster Schritt wäre es also für mich, dass die EU endlich - so wie alle Mitgliedstaaten auch die EU in ihrer Gesamtheit - Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention wird und somit Verfehlungen der Agenturen der EU, also auch von Frontex, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht werden können. Das ist nämlich jetzt nicht der Fall. Und das würde einen großen Schritt in Richtung Grundrechtsschutz bei der Grenzüberwachung bedeuten.

... und dabei helfen, dass Frontex in Zukunft nicht mehr in illegale Pushbacks verwickelt ist. Vielen Dank fürs Gespräch, Bettina Vollath. Wir haben mit ihr über die EU-Grenzschutzagentur Frontex gesprochen.

Dankeschön.

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Dieser Podcast wird im Auftrag des Europäischen Parlaments produziert und kommt aus dem Podcast- Studio hoerwinkel in Wien.

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