Thema Zukunft Europa

Wir werfen einen Blick in die Vergangenheit. Wie hat sich die heutige Situation ergeben? Als Experte spricht Martin Wagner, er ist Leiter des Instituts für Lebensmittelsicherheit an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Er ist außerdem wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums für Futter- und Lebensmittelsicherheit.

Show Notes

Was ist unsere Vision? Die Rettung des Planeten! So David Sassoli, Präsident des Europäischen Parlaments.
In jeweils drei Episoden bündeln wir ein zentrales Thema des Green New Deal. Wir stellen Fragen: Wie ist es dazu gekommen, dass wir uns beeilen müssen, um nicht langsam von diesem Planeten geworfen zu werden? Wie ist der derzeitige Diskussionsstand in der EU? Und vor allem: Was soll nun passieren? Wir werfen einen Blick auf die Gegenwart, durchforsten Archive und sprechen mit österreichischen Europaabgeordneten.

In der vierten Staffel widmen wir uns dem Thema Ernährung. Essen muss jeder von uns. Gesund bleiben will jeder: Beides hängt eng zusammen. Wir sprechen mit der Ernährungsexpertin Angelika Kirchmair, Martin Wagner, Experte für Lebensmittelsicherheit und den Europaabgeordneten Sarah Wiener und Alexander Bernhuber.

Links:
Sarah Wiener
Alexander Bernhuber

Angelika Kirchmair
Martin Wagner

Willkommen zum Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.

Creators & Guests

Composer
Peter Kollreider
Producer
Peter Kollreider
head of hoerwinkel

What is Thema Zukunft Europa?

Der offizielle Podcast des Verbindungsbüros des Europäischen Parlaments in Österreich.

THEMA ZUKUNFT EUROPA
STAFFEL 04 Ernährung - EPISODE 02 Vergangenheit

Willkommen zurück. Wir wollen uns in dieser Episode unter anderem mit dem Thema Lebensmittelsicherheit beschäftigen. Lebensmittelsicherheit bedeutet in unserem Fall: Die EU möchte, dass wir gesund bleiben. Dafür gibt’s Kontrollnormen, etwa in Bereichen wie Lebensmittelhygiene, Tiergesundheit oder Pflanzenschutz. Standards werden festgelegt und die Produkte entsprechend geprüft.

MARTIN WAGNER
Also ich komme beruflich viel herum und ich sehe immer, wie im Ausland die Lebensmittelsicherheit in Europa gesehen wird: sehr sehr positiv. Also wenn Sie nach Asien fahren und fragen die Leute dort über Lebensmittelsicherheit, die würden alle sehr gerne an österreichischen Märkten oder europäischen Supermärkten einkaufen.

Das sagt Martin Wagner. Der Mikrobiologe leitet das Institut für Lebensmittelsicherheit an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien. Martin Wagner ist außerdem wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums für Futter- und Lebensmittelsicherheit. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt Lebensmittel und die Lebensmittelproduktion besser, sicherer und nachhaltiger zu machen. Wer auf die Website klickt, findet die Selbstbeschreibung: „Ihr Partner für integrierte Forschung vom Feld zum Teller.“ Das ist sie also wieder, die Kette von der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“.

MARTIN WAGNER
Heute spricht man ja nicht mehr von der Kette, sondern vom System, es ist enorm komplex und es gibt halt wirklich viele, viele Einflussfaktoren. Dessen ist man sich als Konsument überhaupt nicht bewusst. Ich sage da immer zu meinen Studenten, die müssen sich immer ein Rezept aus dem Internet runterladen und dann lasse ich sie die Lebensmittel einkaufen, die sie brauchen, um das Rezept zu realisieren. Und dann sehen sie das häufig bei relativ einfachen Rezepten, wo ich vielleicht 10, 20 Grundrohstoffe verarbeite, meistens schon 3, 4 Kontinente auf dieser Welt mit bediene. Und die Konsumenten sind sich dessen nicht bewusst. Wir haben die ganze Welt in unserer Küche.

Nicht nur das System ist hochkomplex, sondern auch das Allgemeine Lebensmittelrecht – das Europäische Parlament spricht bei dem Thema vom „umfassendsten Rechtsrahmen“. Aber keine Sorge – darin wollen wir uns jetzt nicht verlieren. Wichtig ist: „Vom Hof auf den Tisch“, Farm to Fork, ist nicht neu. Es hat eine Geschichte.

MARTIN WAGNER
Die Konzepte, die Ideen dazu gehen ja eigentlich schon in das letzte Jahrhundert zurück. Farm2Fork ist ja Prinzip im Ausdruck nichts anderes als wie die integrierte Lebensmittelsicherheit entlang des ganzen Systems. Früher war natürlich das ganze System in unterschiedliche Phasen, ja eben auch von der Expertise her, abgedeckt. Es hat eben immer dem Bereich der Primärproduktion gegeben. Das heißt die bäuerliche Produktion vor der Ernte oder eben die Ernte eben am Feld bzw. eben dann auch das Melken, das Schlachten. Und dann war eben das, was man als Post-Harvest bezeichnet. Das war eben diese Ebene der ganzen Lebensmittelbe- und verarbeitung. Ja und dann natürlich gibt es ja auch immer noch die Ebene des Konsumenten, des Haushaltes.

Diese Ebenen zusammenzudenken – das geschah Anfang der Nullerjahre. Damals präsentierte die EU die erste Farm-to-Fork-Strategie. Unter diesem Namen werden seit damals Rahmenbedingungen rund ums Thema Ernährung festgelegt, aktualisiert und weiterentwickelt. Seit damals gibt es auch eine Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Martin Wagner sagt, der Großteil der Bedrohungsszenarien seien mikrobielle Gefahren...
Martin Wagner weiter

MARTIN WAGNER
...weil eben viele von diesen Gefahren irgendwo in diesem System eingebracht werden und dann praktisch wie so ein Raumschiff durch diese Kette shutteln und schlussendlich dann bei den Konsumenten eben für dementsprechende Krankheitsfälle sorgen. Und wenn man nicht das ganze System versteht, dann versteht man auch viel zu wenig eigentlich, wo diese Gefahren in die Kette eingetragen werden, wie sie sich entlang oder im System bewegen, wie sie verteilt werden und kann dadurch auch zu keiner wirklich ausgehenden Risikoanalyse kommen.

Viele Fachbereiche gehören zum System “Lebensmittelsichterheit”. Die Agrarwissenschaften zum Beispiel, die Veterinärmedizin, die Lebensmittelchemie, die Lebensmittel-Biotechnologie - oder etwa auch der Public-Health-Bereich.

MARTIN WAGNER
Und auch für uns Wissenschaftler war das eigentlich ein Lernprozess, sich nicht nur als ein isolierter Teil dieses Systems und eine Expertise über einen isolierten Teil dieses Systems zu haben, sondern eben sich auch zu integrieren und praktisch auszutauschen.

Ein Mitauslöser für die erste Farm-to-Fork-Strategie war die BSE-Krise, vielleicht erinnern Sie sich. Rinderwahn, sagte man damals auch. Eine Seuche, die zu tödlichen Hirnschäden führte und die als Zoonose auf den Menschen übergreifen kann. Martin Wagner:

MARTIN WAGNER
Farm-to-Fork ist gekommen und auch die Risikoanalyse. Weil man damals einfach erkannte, so wie die BSE-Krise gemanagt worden ist, die in Summe praktisch an die 100 Milliarden Euro Schaden verursacht hat laut der wissenschaftlichen Literatur. Dass man erkannt hat, es kann nicht die Politik, die im Prinzip ja der legitimierte Manager einer Gefahr ist, der die dementsprechenden Maßnahmen anordnen kann, kann nicht auch noch das Risiko beurteilen, das Risiko bewerten. Und dann hat man ja de facto das getrennt und eben diese Risikoanalyse als Prozess aufgesetzt. Dann hat man eben praktisch das Management und die Risikobewertung voneinander getrennt.

Die Bewertung des Risikos übernimmt heute auf europäischer Ebene die EFSA, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit mit Sitz in Parma in Italien. EU-Institutionen wie das Europäischen Parlament können sie um wissenschaftliche Beratung ersuchen. Viele EU- Bürgerinnen und Bürger waren etwa skeptisch, was den Einsatz des Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat betrifft. Mehr als eine Million Menschen unterschrieben die europäische Bürgerinitiative für das, Zitat, “Verbot von Glyphosat und Schutz von Menschen und Umwelt vor giftigen Pestiziden”. Das Europäische Parlament setzte daraufhin einen Sonderausschuss ein. Er untersuchte über Monate das Genehmigungsverfahren der EU für Pestizide. Im Abschlussbericht forderte man unter anderem, dass die Pflanzenschutzmittelverordnung überarbeitet werden soll sowie: mehr Transparenz. Außerdem: keine weitere Genehmigung der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln im öffentlichen Raum. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit soll Glyphosat im zweiten Halbjahr 2022 erneut bewerten.

MARTIN WAGNER
Also man merkt auch mit diesen wissenschaftlichen Entwicklungen, mit diesem Stand des Wissens entwickeln sich natürlich diese Gesetzesmaterien immer weiter, was sie auch oft unleserlich macht.

Martin Wagner sagt es schon: Bei manchen Themen und Detailfragen steigen hier nur Expertinnen und Experten durch. Aber an die BSE-Krise können sich viele erinnern. Und wahrscheinlich auch an den Pferdefleischskandal. Das war 2013. Vor allem in Tiefkühlprodukten fand man Pferdefleisch, obwohl es als Rindfleisch deklariert war. Keine gesetzliche Lücke, sondern Betrug. Das Europäische Parlament und der Rat einigen sich daraufhin, Kontrollen zu verschärfen. Die Rechtsdurchsetzung zu stärken. Und natürlich werden auch Gesetze weiterentwickelt. Innovationen wie die Gentechnologie spielen hier eine Rolle. So werden etwa genetisch veränderte Pflanzen nicht immer zugelassen. Das Parlament ist besonders wachsam, wenn es um unsere Gesundheit geht. Farm to Fork umfasst vieles, und es kommen immer neue Themen dazu.

MARTIN WAGNER
Und so entwickelt sich das weiter. Heute sind das natürlich ganz aktuelle Dinge: wie geht man um mit Lebensmittelverschwendung?

Die Frage ist relativ neu: Die EU richtete 2016 eine Plattform für Lebensmittelverluste und -verschwendung ein, Rechtsvorschriften sollen präzisiert werden, damit man etwa Lebensmittel leichter spenden kann. Und EU-Länder sammeln jetzt Daten zur Lebensmittelverschwendung. Die soll nämlich weniger werden. In Episode Drei beschäftigen wir uns unter anderem mit diesem Thema. Und wir greifen zwei weitere Teil-Bereiche aus dem großen Komplex Ernährung heraus. Lassen wir noch einmal Martin Wagner, Leiter des Instituts für Lebensmittelsicherheit an der Veterinärmedizinische Universität in Wien zu Wort kommen:

MARTIN WAGNER
Es gibt nichts anderes, das was uns so beeinflusst in allen unseren Funktionen, wie Lebensmittelaufnahme. Und da reden wir jetzt nicht nur über Energie, das wir halt 100 Meter laufen können. Heute kommt man drauf über Mikrobiom-Forschung im Darm, dass unsere ganzen hormonellen, unsere kognitiven Fähigkeiten an diesem Thema hängen, an diesem Darm-Mikrobiom, das wir jeden Tag mit den Nährstoffen, die wir zu uns nehmen, praktisch manipulieren und in eine gewisse Richtung trimmen. Und wenn man sich das bildlich vorstellt, dann verstehe ich häufig nicht, wieso das Thema Ernährung nicht flächendeckend viel mehr Bedeutung hat für Menschen.

Dieses Problembewusstsein haben auch Sarah Wiener von den Grünen und Alexander Bernhuber von der ÖVP. Mit beiden Europaabgeordneten sprechen wir in der nächsten Episode — es geht um unsere Zukunft. Hören Sie wieder rein, wir freuen uns.

Dieser Podcast wird im Auftrag des Europäischen Parlaments produziert und kommt aus dem hoerwinkel. Mein Name ist Benjamin Breitegger

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